29.07.2025
Vielfalt ist Segen

Kirche und Queerness: Warum Schweigen keine Option ist

Menschen beim CSD

Mut für Vielfalt

Queerness steht unter Druck und Jahre des Fortschritts scheinen in Gefahr. Was Kirche in diesen Zeiten tun muss – und warum es wichtig ist, im Gespräch zu bleiben. Ein Gespräch mit Pröpstin Anja Botta.

In einer Zeit, in der Regenbogenflaggen mit einem Zirkus gleichgesetzt werden, scheinen Jahre der Aufklärung, der Geduld und Arbeit plötzlich wieder in Frage gestellt: Queerness und Vielfalt stehen unter Druck. Jedes Jahr nehmen die Straf- und Gewalttaten aufgrund der sexuellen Orientierung zu, in ganz Deutschland werden reihenweise CSDs abgesagt, weil die Sicherheitslage zu bedenklich sei, wie es beispielsweise von Veranstaltern aus Gelsenkirchen heißt. Andere CSDs werden aufgrund von Drohschreiben umgeplant, wie jüngst in Regensburg. Der Hass auf queere Menschen vonseiten rechter Parteien hat schon längst System, wie unter anderem der Spiegel berichtet.

Wie steht die Ev.-Luth. Kirche in Hamburg zu alledem? Welche Botschaft möchte – und muss – Kirche in diesen Zeiten vermitteln? Wir sprachen mit Pröpstin Anja Botta, die sich seit Jahren für die Rechte von queeren Menschen in und außerhalb der Kirche stark macht. Sie ist stolz auf die Entwicklung, die ihre Kirche in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat, blickt auf die aktuelle Lage von queeren Menschen in Deutschland allerdings mit großer Sorge.
 

„Vielfalt ist der Wesenskern der Kirche“

Christian Schierwagen: Frau Botta, was ist Ihre ganz persönliche Motivation als Pröpstin beim CSD dabei zu sein?

Pröpstin Anja Botta: Meine Motivation gründet in meinem Glauben, denn ich glaube, dass Gott alle Menschen liebt, wie sie sind. Und ich sehe es als meine und auch Aufgabe von Kirche, diesen Respekt, die Würde eines jeden Menschen und die Akzeptanz sichtbar zu machen. 

Wenn ich meinen Glauben ernst nehme – wer wäre ich dann, einem anderen Menschen diese Liebe abzusprechen? Das finde ich anmaßend. Vielfalt in Kirche ist kein „Add-on“, sondern ihr Wesenskern: Kirche muss Vielfalt sein.

Schierwagen: Gab es im Laufe Ihres Lebens oder Ihrer Karriere Schlüsselmomente, die Ihre Haltung zu Queerness und Vielfalt geprägt haben?

Botta: In meinem Umfeld gibt es queere Personen, mit denen ich eng befreundet bin. Sie bereichern mein Leben, erleben aber auch Druck, Rechtfertigungszwang und Diskriminierung. Es war weniger ein einzelner Schlüsselmoment als vielmehr das Miterleben ihrer Lebensrealitäten – das treibt mich an.

Schierwagen: Wahrscheinlich sind Sie mit manchen dieser Menschen schon lange befreundet. Wie erleben Sie die gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit queeren Menschen?

Botta: Ich habe starke queere Freund*innen, die jahrzehntelang für ihre Rechte gekämpft haben. In vielen Punkten gab es Fortschritte. Doch aktuell erleben wir eine Entwicklung, die ich sehr bedenklich finde: Wir machen Rückschritte als Gesellschaft, Queerness verliert etwas an der Selbstverständlichkeit, die hart erkämpft wurde. Das belastet viele Menschen sehr. 

„Gerade bei älteren queeren Menschen sind Verletzungen zu spüren“

Pröpstin Anja Botta Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein

Schierwagen: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Rolle als Kirchenleitung im Kontakt mit queeren Menschen gemacht?

Botta: Nordkirche ist beim Thema Diversität ziemlich weit vorn: Queere Menschen gehören mit großer Selbstverständlichkeit dazu. Das schafft Vertrauen.

Aber das war nicht immer so, das muss man auch klar benennen. Und gerade bei älteren queeren Menschen, sind Verletzungen zu spüren, die auch nach Jahrzehnten noch wahnsinnig gegenwärtig sind. Das ist sehr schmerzhaft, vor allem für die Betroffenen. Auch für mich als Kirchenmitglied ist es schmerzhaft zu sehen, welche Verletzungen diese Menschen teils bis heute mit sich tragen.

Schierwagen: Kirche als Institution ist für viele Menschen ein Ort der Zuwendung – gerade für jene, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Aus dem Grund ist diese Verletzung sicherlich auch sehr nachvollziehbar. Gleichzeitig gibt es eben die Institution Kirche und dann noch die Menschen hinter der Kirche – und der Mensch kann den an ihn gestellten Erwartungen nicht immer gerecht werden.

Botta: Absolut. Vielfalt bedeutet für mich auch, dass es neben den Engagierten in der Nordkirche Menschen gibt, die ein anderes Glaubensbild haben, eine andere Form der Frömmigkeit. Und für diese Menschen kann das Thema herausfordernd sein. In so einem Spannungsfeld bewegen wir uns und trotzdem – oder gerade deswegen – ist es für mich wichtig, mich dafür stark zu machen, dass Kirche ein sicherer Raum für alle ist. 

Das gelingt nur, wenn wir immer wieder ins Gespräch kommen. Dabei geht es nicht darum, am Ende alle einer Meinung zu sein, sondern einander zuzuhören und wahrzunehmen. Ich hoffe, dass sich dadurch immer etwas bewegt.

Der CSD ist dafür ein wichtiger Anlass – ebenso wie Initiativen wie Welcoming Out oder die Regenbogenfahne vor dem Haus der Kirche. Das Schlimmste wäre, wenn wir in gegenseitiges Schweigen verfallen.

Schierwagen: Wie reagieren andere Gemeindemitglieder auf Ihre klare Positionierung zu Vielfalt und Akzeptanz?

Botta: Die meisten sehr positiv. Auch in eher ländlichen Gemeinden habe ich gute Erfahrungen gemacht. Ich erinnere mich an eine Trauung eines älteren queeren Paares in Kirchnüchel in Schleswig-Holstein – beide waren über 60. Besonders bewegend war, dass die ganze Dorfgemeinschaft einbezogen war. Das widerspricht dem Klischee des ablehnenden Dorflebens. 

Begegnung nimmt Themen ihre Aufregung – am Ende feierte ein ganzes Dorf diese queere Hochzeit.

„Ich träume von einer Kirche, in der sich niemand mehr fragen muss, ob er*sie dazugehören darf“

Schierwagen: Welchen Unterschied macht es, wenn die Ev.-Luth. Kirche beim CSD sichtbar für queere Rechte eintritt?

Botta: Einen großen. Ich finde es als Kirche wichtig, ein Zeichen zu setzen, da gehört für mich auch fest dazu, dass wir einen Truck auf dem CSD haben. Wir sind Kirche, wir sind mittendrin und das wollen wir auch ganz bewusst sein. 

Ein wenig abseits von diesem Trubel haben wir auch dieses Jahr wieder die Pop-Up Church an der St. Petri, wo wir Segen anbieten. Ich habe da auch schon öfter mitgemacht und unglaublich berührende, tiefe Gespräche geführt.

Schierwagen: Erinnern Sie sich an eines davon und möchten es teilen?

Botta: Da gab es ein älteres Ehepaar aus Bayern, die eher zufällig ins Segensdorf kamen. Wir kamen ins Gespräch und an diesem Ort brachte der Mann es über die Lippen, dass sein Sohn queer ist. Man hat richtig gemerkt, dass ihm das auf der Seele lag, dass er vielleicht aus einem Umfeld kommt, wo man über so etwas nicht spricht. Für mich war das ein sehr schöner, sehr persönlicher Moment.

Schierwagen: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Kirche im Umgang mit Vielfalt und Gleichberechtigung?

Botta: Ich wünsche mir Mut. Dass es nicht um die Diskussionen geht, ob und wie sich Kirche politisch äußern darf. Wir müssen uns äußern – und auch konsequent sein. Eben nicht nur zu sagen: „Wir finden Vielfalt wichtig.“ Wir müssen auch Strukturen anpassen, wo es nötig ist.

Mein Traum ist eine Kirche, in der Zugehörigkeit selbstverständlich ist – egal, ob jemand queer ist oder nicht. Eine Kirche, die Vorbild ist und in die Gesellschaft hinein ausstrahlt. Dafür müssen wir im Dialog bleiben, mit Menschen und mit der Politik. Wenn wir uns nur in unseren Blasen bewegen, kommen wir nicht weiter.

Wir sollten klar benennen, wofür wir stehen. Die Bibel und auch das Grundgesetz geben uns Werte vor, die uns leiten: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe. Wenn die Kirche nicht daran erinnert, wer tut es dann? Bei diesen Grundwerten gibt es für mich kein Zurückweichen.
 

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