12.11.2025
Demokratie stärken

„Von Anfang an willkommen“: Wie Kirche Integration fördert

Die Projekleitung "Von Anfang an Willkommen", Bärbel Dauber und Iwan Ruzanov

Mit offenen Armen

Wie gelingt Integration für geflüchtete Kinder – und welche Haltung hilft dabei? Das Projekt „Von Anfang an willkommen“ setzt auf Perspektivwechsel und Hilfe zur Selbsthilfe.

Sie wünschen sich Normalität, Sicherheit und Zugehörigkeit. Sie haben erlebt, wie ihre Häuser zerbombt, ihre Familienangehörigen erschossen, ihr Alltag und ihre Zukunft zerstört wurden: Geflüchtete Menschen mussten oftmals durch die Hölle gehen, bevor sie in Deutschland ankommen. Für die meisten endet die Tortur hier nicht. „Schon ganz zu Beginn spüren sie oft, dass sie hier nicht wirklich willkommen sind“, erklärt Bärbel Dauber. Zusammen mit ihrem Kollegen Iwan Ruzanov leitet sie das Projekt „Von Anfang an willkommen“, eine Aktion des Kirchenkreises-West/Südholstein, kofinanziert aus Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds. Ein Ziel ist eine frühzeitige Förderung von Integration und Teilhabe bei Kindern mit Migrations- oder Fluchthintergrund. 

Ein Blick auf Studien zeigt, wie wichtig die Arbeit der beiden ist: Mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden geflüchteten Kinder zeigen physische Belastungssymptome, sie leiden unter Depressionen und vor allem posttraumatischen Belastungsstörungen. Ähnlich erschreckend sehen die Zahlen bei Erwachsenen aus. Viele Menschen kommen mit Hoffnungen in dieses Land: auf Normalität, auf Aufnahme, Teilhabe und Schutz. Erwachsene erhoffen sich einen Arbeitsplatz, Kinder vor allem ein soziales Netz – nicht selten werden beide Altersgruppen herbe von der Realität enttäuscht. „Viele Familien hoffen auf ein sicheres, unterstützendes Umfeld, erleben aber stattdessen Isolation, Frustration und fehlende Perspektiven“, sagt Dauber. Ein Zusammenspiel, das alte Traumata weckt und neue entstehen lässt. „Und das hinterlässt bleibende Spuren und erschwert das Ankommen entscheidend.“
 

Kita-Besuch für Integration entscheidend

Dabei gilt der Besuch einer Kita grundsätzlich als „Integrationsmotor“: Er verbessert nachweislich die Integration von Familien mit Fluchthintergrund. Doch nur etwa 79 Prozent der Kinder mit Fluchthintergrund besuchen überhaupt eine Kita – gegenüber fast 98 Prozent der Kinder ohne Migrationshintergrund. Hintergrund ist unter anderem das Unwissen über die eigenen Rechte und Angebote sowie unklare Wege durch das komplexe Kita-System. Und längst ist nicht alles in Ordnung, sobald ein Kind in die Kita kommt.

„Es ist nie einfach, als jemand aus einer anderen Gesellschaft in unser Bildungssystem zu kommen“, so Dauber. Ihrem Kollegen und ihr wurde mit den Jahren der sozialen Arbeit immer bewusster, wie speziell unsere Gesellschaft ist, besonders in puncto Verwaltung und Pädagogik. Wie groß auch das Konfliktpotenzial und wie gleichermaßen hoch der Bedarf an einer Unterstützung – sowohl für Familien als auch Kita-Mitarbeitende. 

So entstand die Idee vom Projekt „Von Anfang an willkommen“: Einerseits werden Familien begleitet, beraten und unterstützt, beispielsweise durch Eingewöhnungshilfe in das Kita-System. Parallel gehen die Projektleitenden in die Kitas, bilden das Fachpersonal weiter in Themen wie Deeskalationsmanagement, Diagnostik und Elternarbeit – insbesondere in kulturell und emotional herausfordernden Situationen.
 

Verständnis schaffen – für alle Seiten

Auch ein Management der Erwartungen an das Projekt und die Arbeit der Leitenden gehört laut Iwan Ruzanov dazu: „Viele hoffen auf schnelle Lösungen, aber eigentlich geht es um die notwendige Veränderung der Haltung. Es reicht nicht, ein paar Tipps an die Hand zu bekommen: Entscheidend ist, zu verstehen, warum Kinder oder auch Eltern in Not geraten.“ Es gehe auch um einen Perspektivwechsel, so der Projektleiter. Weg von der Annahme „Das Kind ist schwierig“, hin zu der Sicht: „Dieses Kind braucht meine Hilfe und ich kann es in dieser Situation unterstützen.“

Konfliktpotenzial gibt es im Kita-Alltag genug: Oftmals würden beispielsweise Kinder in Familien mit Fluchthintergrund eine Elternrolle übernehmen müssen, so Ruzanov. „Sie lernen oft schneller Deutsch als ihre Eltern, begleiten sie zu Behörden oder Arztterminen und fungieren als Übersetzer. Später sind sie in der Kita oder Schule plötzlich wieder in der Rolle des Kindes.“ Ein schwieriger Spagat, der oft zu Missverständnissen und Überforderungen auf beiden Seiten führe. „Hier setzt unser Projekt an: Es schafft Verständnis für genau solche Herausforderungen und hilft, Hürden abzubauen.“

Sowohl im Umgang mit Eltern als auch Pädagog*innen setzen beide Leitungen auf „Hilfe zur Selbsthilfe“: Ziel sei es, sich entbehrlich zu machen, sodass Eltern eigenständig zurechtkommen, über das Rechtssystem und die Bildungslandschaft informiert sind. Bei der Zusammenarbeit mit Kitas werden Fallbeispiele besprochen und Perspektivwechsel geübt – was mitunter zu unerwartet kreativen Lösungsansätzen führe. „Es berührt mich dann besonders zu sehen, wenn Kolleg*innen ihren Humor und die eigene Offenheit neu entdecken und beispielsweise Konflikte spielerisch lösen.“ 
 

Eine Frage der Haltung

„Von Anfang an willkommen“ sei mehr als ein Projekttitel. „Es ist eine Haltung“, sagt Dauber. Sie folgt der Idealvorstellung, dass Menschen in ein Land kommen, das sie mit offenen Armen empfängt, ihnen Transparenz, Unterstützung und Wertschätzung mit auf den Weg gibt. „Das Gefühl, gewollt und angenommen zu sein, verändert nicht nur den Einzelnen, sondern wirkt sich auf die gesamte Gesellschaft aus.“

Niemand könne sich angesichts der gesellschaftlichen Polarisierung leisten Menschen – und vor allem Kinder – auszuschließen, ergänzt Ruzanov. In einer zunehmend polarisierten Welt, in der Kinder mit unterschiedlichen Meinungen und Weltanschauungen konfrontiert werden, sei die Fähigkeit zu kritischem Denken und Dialog mit Andersdenkenden von größter Bedeutung. „Indem frühkindliche Bildung Toleranz, Respekt und die Akzeptanz von Vielfalt vermittelt, schafft sie die Grundlage für den Zusammenhalt einer offenen und demokratischen Zivilgesellschaft.“ 

Das Ev.-Luth. Kita-Werk Hamburg-West/Südholstein hat einen Leitsatz: „Mit Gott gemeinsam groß werden“. Das bedeutet, jedem Kind erfahrbar zu machen: Du bist gewollt, so wie du bist. „Es ist Aufgabe der Kirche, das jedem Kind zu vermitteln“, sagt Dauber. Ihr Kollege Ruzanov ergänzt: „Jedes Kind hat nicht nur individuelle Bedürfnisse, sondern ist besonders und einzigartig. Wir alle wollen wahrgenommen und gehört werden.“ Offenes Interesse verändert alles. Der Apell der beiden: Wenn alle – Kirchengemeinden und Ehrenamtliche – weiterhin mit diesem Geist arbeiten, mit Offenheit, gegenseitigem Respekt und ehrlichem Interesse, „dann entsteht genau das, was Teilhabe und Integration möglich macht.“
 

Das könnte Sie auch interessieren
Politik und Gesellschaft
Warum Kommunikation oft scheitert
Glauben verstehen
FAQ zur Kirchensteuer
Kontakt

Auf vielen Wegen für Sie erreichbar:
ServiceCenter Kirche und Diakonie Hamburg

E-Mail

Kontakt zum Service-Center

WhatsApp

Chatten Sie mit uns

Telefon

Montag – Freitag, 9 – 17 Uhr

Social Media

Besuchen Sie uns auf allen Kanälen