Inklusives Café St. Petri

„Es ist Aufgabe der Kirche, solch kleine Wunder zu ermöglichen“

Einer Person wird im inklusiven Café der Hamburger Hauptkirche St. Petri ein Getränk serviert

Ein inklusives Café im Herzen der Stadt

Im März öffnete ein inklusives Café mitten in der Innenstadt in der Hauptkirche St. Petri. Warum solche Projekte so wichtig sind, besprachen wir mit dem Hauptpastor Dr. Jens-Martin Kruse.

Zwischen gotischen Mauern und modernem Café

Es herrscht eine heimische Atmosphäre, betritt man die Ansgarkapelle der Hauptkirche St. Petri: Hohe Decken, weiß gestrichen mit Gewölben im gotischen Stil, massive Steinsäulen, die seit Jahrhunderten tragen. Im Raum eine hölzerne Servicetheke mit obligatorischer Espressomaschine, runde Tische mit Stühlen, Regale mit Produkten zum Verkauf – im inklusiven Café treffen historische Kirchenarchitektur und Moderne aufeinander. 

Seit dem 7. März 2025 hat das Café für die tausenden Gäste geöffnet, die täglich die Kirche und ihren Turm betreten. Wir sprachen mit Hauptpastor Jens-Martin Kruse über die Bedeutung eines inklusiven Projekts der Menschlichkeit inmitten des Kommerzes und Konsums der Innenstadt Hamburgs.

Christian Schierwagen: Was war die ursprüngliche Motivation hinter der Gründung des inklusiven Cafés in der Hauptkirche St. Petri?

Pastor Jens-Martin Kruse: Wir haben während der Corona-Pandemie als Hauptkirche den Eindruck gewonnen, dass wir einen zusätzlichen Ort schaffen müssen, wo sich Menschen in unserer Kirche gut aufhalten können. Und das möglichst niedrigschwellig in dem Sinne, dass man hier einfach reinkommen kann, ohne gleich das Gefühl zu haben, man ist in einer Kirche und müsse sich auf besondere Weise bewegen oder verhalten. 

2021 eröffneten wir ein Buchcafé, das zwei Jahre lang auch gut funktionierte, der Betreiber kündigte uns allerdings, weil er den Schwerpunkt seiner Arbeit anders setzen wollte. Da wir so gute Erfahrungen gemacht hatten, wollten wir den Ort als Café unbedingt erhalten und suchten uns einen neuen Kooperationspartner.

Wir haben sehr breit geschaut und ganz unterschiedliche Gespräche mit verschiedenen Institutionen geführt. Und am besten gefunkt hat es letztlich mit der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, hier kamen wir nach den ersten Gesprächen schnell in konkrete Verhandlungen. Und dann ging alles unglaublich schnell!

Das inklusive Café – ein Leuchtturmprojekt

Hauptpastor Jens-Martin Kruse im inklusiven Café der St. Petri

Schierwagen: War das Konzept eines inklusiven Cafés von vornherein klar?

Kruse: Nein, gar nicht, da waren wir sehr offen, von der Hamburger Tourismuszentrale bis hin zu kirchlichen Kooperationspartnern war alles dabei. Uns war es auch wichtig, als Hauptkirche zu zeigen, dass wir offen und willens sind, mit anderen gesellschaftlichen Institutionen zusammenzuarbeiten.

Das Thema Inklusion hat sich mit der Zeit nach vorne geschoben und nach den ersten Gesprächen mit der Evangelischen Stiftung Alsterdorf war mein Eindruck, dass es eine wunderbare Gelegenheit wäre, hier mitten in der Stadt einen inklusiven Ort zu schaffen, in dem Menschen mit Behinderung arbeiten können. Das ist für uns als Kirche ein wichtiges Signal, auch in der Stadtgesellschaft zu zeigen, wofür wir stehen: Chancengleichheit und Teilhabe.

Und für die Evangelische Stiftung Alsterdorf war es insofern eine lohnenswerte Kooperation, weil sie dadurch ein Angebot hat, das fast auf dem ersten Arbeitsmarkt ist – es geht es schließlich um einen Ort, an dem jährlich ca. 100.000 Menschen sind. Für die Stiftung Alsterdorf ist das ein Leuchtturmprojekt und sie sind nun in der Innenstadt präsent mit ihrem Angebot – eine klare Win-Win-Situation.

„Die Mitarbeitenden bringen eine Freude, die ansteckt“

Schierwagen: Wie wird die Akzeptanz und Integration der Mitarbeitenden mit Behinderung im täglichen Betrieb des Cafés von den Gästen aufgenommen?

Kruse: Mein Eindruck ist, dass es für viele absolut selbstverständlich ist. Sicherlich, bei manchen Gästen gibt es im ersten Moment eine kurze Verwunderung, die aber schnell verfliegt und was bleibt, ist eine positive Erfahrung. Das hat vor allem mit den Menschen zu tun, die hier arbeiten, das erleben wir auch als Kirchengemeinde: Sie bringen so eine Freude in diesen Raum, in diese Kirche, das ist einfach ansteckend und tut gut. Ich glaube, ihre Begeisterung über die Arbeit überträgt sich auf die Menschen, die hier hereinkommen.

Ich persönlich glaube, dass es für die Gäste einen Lerneffekt gibt, auch wenn sie das nicht direkt so artikulieren: Die Gäste bemerken, dass die Behinderungen der Mitarbeitenden überhaupt kein Thema sind. Alles, was es in einem Café braucht – ein Getränk, ein Stück Kuchen, in unserem Fall der Ablauf für den Turmaufstieg – alles funktioniert wunderbar. Das ist ein wichtiger Effekt, wo wir als Kirche in die Gesellschaft hineinwirken können, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu schwenken.

Wir brauchen mehr solcher Begegnungsorte und das ist meiner Meinung nach für das Gefüge der Innenstadt enorm wichtig. Dass es hier eben nicht um Kommerz und Konsum geht, darum, das Schönste, Schickste oder Teuerste zu besitzen, sondern ein Stück Menschlichkeit einzieht. Das Miteinander von Menschen mit unterschiedlichen Begabungen, das ist etwas, was wir als Gesellschaft wieder neu lernen müssen. 

Das ist ein kleines Projekt, in dem es um Inklusion im Sinne von Miteinander geht. Darum, zu entdecken, dass wir unterschiedlich sein mögen, aber letztlich alle auf dieselbe Art und Weise Menschen mit derselben Würde sind und dass es eine Bereicherung ist, wenn wir zusammenkommen. Für mich als Pastor ist dieser Begegnungscharakter besonders wichtig.

Schierwagen: Welche Herausforderungen haben Sie zu bewältigen?

Kruse: Insgesamt läuft es wirklich unkompliziert und entspannt – aber natürlich befinden wir uns in einem gegenseitigen Lernprozess und an manchen Stellen muss es sich noch zurechtruckeln. Doch alle Herausforderungen, denen wir bisher begegnet sind, empfinde ich als komplett harmlos und regelbar. Das hat auch viel mit den Menschen zu tun – sowohl bei uns als auch bei der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Wir alle wollen, dass dieses Projekt gelingt und deswegen gibt es auch diese hohe Bereitschaft von allen Seiten, sich zu engagieren.

„Einfach machen und vertrauen darauf, dass Gutes entstehen kann“

Milchschaum wird in dem Café der Hauptkirche St. Petri vorbereitet

Schierwagen: Gibt es geplante Aktionen, um das Bewusstsein für Inklusion in der Gemeinde bzw. der Innenstadt zu fördern?

Kruse: Perspektivisch wollen wir den Ort für Ausstellungen, Lesungen und andere Formen der Begegnung nutzen, auch da ist die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Stiftung Alsterdorf so gut, weil es dort bereits unglaublich viel Hintergrund und Erfahrungen gibt. Schon jetzt ist es aber großartig zu sehen, wie die Idee der Inklusion von Anfang an nicht auf den Raum beschränkt war, sondern direkt ausstrahlte: Donnerstags haben wir hier ein Mittagessen für Bedürftige und einer der Mitarbeiter des Cafés hilft seit Tag 1 völlig selbstverständlich beim Aussteilen des Mittagessens. Das ist so schön zu sehen und prägt unser Gemeindeleben hier auch mit.

Schierwagen: Sie beschreiben das Café als Leuchtturmprojekt für die Evangelische Stiftung Alsterdorf: Welche Empfehlungen haben Sie für alle Institutionen und Gemeinden, die etwas Ähnliches starten wollen?

Kruse: Das Entscheidende ist ganz unkompliziert und simpel: einfach machen. Nicht zerdenken, nicht überlegen, was alles schieflaufen könnte, sondern den Mut haben, zu springen, es zu wagen, es zu tun. Im Vertrauen darauf, dass etwas Gutes entstehen kann. 

Ich habe als Hauptpastor gesagt: Lasst es uns machen. Darin sehe ich eine der Hauptaufgaben meiner Arbeit: Eine Vision zu entwickeln und dafür zu begeistern, Dinge anzustoßen. Und ich habe dankbar festgestellt, dass es bei der Evangelischen Stiftung Alsterdorf Menschen gibt, die das Projekt genauso als Chance verstanden haben.

Natürlich gibt es Sorgen, natürlich gibt es Bedenken. Aber wir sammeln hier Erfahrungen und aktuell sind alle Beteiligten begeistert von der Sache. Dann kann etwas so Wunderbares entstehen, wie hier. Denn dafür ist Kirche da: Wir müssen in schwierigen Zeiten und mit begrenzen Mitteln versuchen, solche kleinen Wunder zu ermöglichen. 

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