21.07.2025
Queersensible Bildungsarbeit

Für eine offene Kirche der Vielfalt

Im Vordergrund steht ein buntes, halbkreisförmiges Holzspielzeug in Regenbogenfarben. Im Hintergrund sind mehrere Menschen in einem Raum mit runden Fenstern und buntem Licht verschwommen zu sehen, was auf eine Veranstaltung oder ein Treffen in freundlicher Atmosphäre hindeutet.

Vielfalt leben – nicht nur benennen

Was braucht es, damit queere Menschen sich in der Kirche wirklich willkommen fühlen? Wie wird aus Bekenntnissen konkrete Veränderung – in Liturgie, Sprache, Strukturen? 

Tash Hilterscheid, Pfarrperson im Hauptbereich Generationen und Geschlechter der Nordkirche, beschäftigt sich intensiv mit queersensibler Bildungsarbeit. In diesem Beitrag beschreibt Tash, warum die Kirche einen klaren Standpunkt braucht – und was es bedeutet, Vielfalt nicht nur zu benennen, sondern zu leben.
 

Kirche als Schutzraum – nicht nur für einige

Queere Mitarbeitende haben diese Bildungsarbeit schon lange geleistet – oft ehrenamtlich, mit viel persönlichem Einsatz. Allein durch ihre Sichtbarkeit haben sie in Kirchengemeinden Aufmerksamkeit geschaffen und für Veränderung gesorgt. Viele Gemeinden zeigen seit Jahren Flagge beim CSD. In der Jugendarbeit gehört das Thema Queerness für viele längst selbstverständlich dazu. Doch häufig hängt dieses Engagement an einzelnen Personen – es ist weder abgesichert noch strukturell verankert.

Gerade jetzt, wo queerfeindliche Stimmen lauter werden und ein gesellschaftlicher Backlash spürbar ist, braucht es eine Kirche, die sich klar positioniert: nicht nur symbolisch, sondern im Handeln. Eine Kirche, die sich als Gemeinschaft versteht, die Verantwortung übernimmt – und sich geschlossen an die Seite derer stellt, deren Menschenwürde bedroht wird.

Es darf nicht bei der Initiative der Betroffenen bleiben. Die Bewahrung der Vielfalt unserer Schöpfung ist Aufgabe aller. Nicht aus Mitleid, sondern aus einem theologischen Verständnis heraus: Die Seele eines Menschen kennt kein Geschlecht. Geschlechterzuschreibungen sind kulturelle Konstrukte – nicht das Ergebnis göttlicher Ordnung.
 

Eine Person mit kurz geschnittenem Bart und Brille trägt ein pinkes Talarhemd und eine bunte Blumenkrone in Regenbogenfarben. Das Gesicht ist mit Glitzersteinen geschmückt. Im Hintergrund ist ein Banner mit dem Wort „QUEER“ in Regenbogenfarben zu sehen – die Aufnahme entstand bei einer CSD-Demonstration.

Neue Narrative, alte Texte – queere Perspektiven in der Bibel

Rechtspopulistische Stimmen nutzen christliche Begriffe, um Menschen auszuschließen. Deshalb braucht es theologische Klarheit  – und vermehrt queersensible Predigt. Die evangelische Kirche muss erzählen, was sie glaubt: Dass Menschen in ihrer Vielfalt von G*tt geliebt und gewollt sind. Dass queeres Leben kein Widerspruch zum Glauben ist – sondern Ausdruck der göttlichen Schöpfungskraft.

Ich selbst bin als queere Pfarrperson oft Anlaufstelle für Menschen gewesen, die nach Zugehörigkeit suchen. In vielen Gesprächen habe ich erfahren, wie sehr sich queere Menschen nach einem Raum sehnen, in dem sie vollständig angenommen sind – ohne sich rechtfertigen oder anpassen zu müssen. Und wie oft sie genau das Gegenteil erlebt haben – ausgerechnet in kirchlichen Räumen.

Diese Erfahrungen reichen von subtiler Abwertung bis zu offener Ausgrenzung: Wenn ein Psalm nur binär gelesen werden darf. Wenn die Trauung eines gleichgeschlechtlichen Paares abgelehnt wird. Wenn G*tt ausschließlich männlich gepredigt wird. Wenn die heteronormative Familie als einzig gültige Lebensform dargestellt wird – und die Schöpfungsgeschichte als Beleg für eine binäre Geschlechterordnung herhalten muss.

Was es braucht, ist ein klares Bewusstsein für Diversität. Und ein ehrliches Hinschauen auf die Folgen, die queerfeindliche Glaubenssätze für die Seele eines Menschen haben können.
 

Bibel lesen – anders und befreiend

Queersensible Bildungsarbeit bedeutet für mich auch, neue biblische Narrative sichtbar zu machen – oder alte neu zu lesen. Ich erinnere an die Taufe des äthiopischen Kämmerers in der Apostelgeschichte – eine Figur, die nicht in die binäre Geschlechterordnung passt. An Joseph im Ersten Testament, der ein besonderes Gewand trug, das auch als Prinzessinnenkleid gelesen wird. An David und Jonathan, deren Beziehung tief und liebevoll beschrieben wird. Und daran, dass Jesus selbst in einer Wahlfamilie gelebt hat.

Die Bibel enthält viele Geschichten, die queere Menschen darin bestärken können, dass sie nicht weniger wert sind als andere – auch wenn ihre Umwelt ihnen das oft vermittelt. Genau diesen Menschen hat Jesus immer wieder gezeigt: Du bist gewollt. Du bist geliebt. Ohne Bedingung.
 

Persönlich: Warum Queerness und Glaube kein Widerspruch sind

Für mich persönlich waren meine Queerness und mein Glaube nie ein Widerspruch. Im Gegenteil: G*tt ist für mich der Ursprung aller Vielfalt – auch der geschlechtlichen. Queere Lesarten der Bibel sind immer auch befreiungstheologisch. Sie fordern dazu auf, auch diejenigen mitzudenken, die nicht weiß, nicht heterosexuell und nicht cis-geschlechtlich sind.

Jesus hat sich besonders den Menschen zugewandt, die gesellschaftlich benachteiligt waren – aber nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Nicht aus Gnade, sondern aus echter Solidarität.

Es bleibt viel zu tun

Damit Aussagen wie diese nicht bloß gut gemeinte Worte bleiben, braucht es konkrete Veränderungen – und den Willen, Strukturen zu hinterfragen. Inklusive Sprache ist ein Anfang. Doch es geht weiter: Auch kirchliche Formulare, Kasualien und liturgische Materialien müssen queere Lebensrealitäten berücksichtigen. Und ja, dazu gehören selbstverständlich auch Toiletten, die für alle Menschen nutzbar sind – ohne Angst oder Scham.

Darüber hinaus braucht es eine Anlaufstelle für Menschen, die innerhalb der Kirche spirituelle oder strukturelle Diskriminierung erfahren haben. Denn queersensible Bildungsarbeit heißt nicht: Wir sind angekommen. Sie heißt: Wir sind unterwegs. Und wir bleiben in Bewegung – gemeinsam

Tash Hilterscheid (nicht-binär) ist Pfarrperson im Hauptbereich Generationen und Geschlechter der Nordkirche. Seit Anfang 2025 arbeitet Tash in der neu geschaffenen Projektstelle für queersensible Bildungsarbeit – eine Antwort auf jahrelange Anliegen in und außerhalb der Kirche. Tash bringt persönliche Erfahrung, theologisches Know-how und sichtbar queer-fokusierte Praxis ein – mit dem Ziel, Kirche zu einem sicheren Ort für alle zu machen

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